„Ich versuche, antipsychologische Filme zu machen, mit Figuren, die weniger Charaktere als Projektionsflächen für die Empfindsamkeiten des Zuschauers sind; die Leerstellen zwingen den Zuschauer, seine eigenen Gedanken und Gefühle in den Film zu tragen. Denn das ist es, was ihn offen für die Empfindsamkeit der Figur macht." – Michael Haneke

Michael Haneke provoziert, sowohl auf als auch abseits der Leinwand. Die provokanten Wurzeln von Hanekes Filmen liegen in der Weigerung, dem Publikum einen einfachen Zugang zu den psychologisch komplizierten Charakteren zu ermöglichen, auch wenn sie schockierende Ereignisse zeigen. Diese Distanz zwischen Publikum und Handlung wirkt verstörend und anregend zugleich. Zum Beispiel tauchen in seinen Filmen immer wieder Kameras und Videobänder auf. Dadurch wird nicht nur die Komplizenschaft des Zuschauers beim Blick ins Privatleben verkompliziert, sondern zugleich der voyeuristische Blick des Überwachungsstaates kommentiert. In den Filmen dieser Reihe werden die Heucheleien einer zunehmend konsumorientierten Gesellschaft auf brillante Weise entlarvt. Sie zeichnen sich durch anspruchsvolle Kompositionen und rigorose Darbietungen aus, die sich jeglicher Sentimentalität verweigern – Eigenschaften, die auf Hanekes Anfänge als Theaterregisseur verweisen.

Obwohl sich sein frühes Werk auf das soziale Unbehagen und die Apathie im Österreich der Nachkriegszeit konzentriert, bewegt sich Haneke später über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus und richtet seine Linse auf eine gesamteuropäische Landschaft, die ebenso nihilistisch eingestellt ist. Diese Wendung ist besonders ergreifend, da sie eine andauernde moralische Krise sowie Probleme der historischen Amnesie im heutigen Westeuropa aufzeigt. Die bürgerlichen Kernfamilien und ihre Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftlichem Leid stehen abermals im Mittelpunkt seines eindringlichen Blicks. Der Regisseur experimentiert weiterhin mit episodischen Strukturen und ineinandergreifenden Handlungssträngen. Welten mögen aufeinanderprallen, Figuren mögen sich über den Weg laufen, aber dennoch werden die Zuschauer nicht mit einer illusorischen Transzendenz belohnt. Stattdessen sorgen Schweigen und Leerstellen für Mehrdeutigkeit, die das Publikum dazu einlädt, einen Sinn herzustellen. Auch wenn es weit hergeholt ist, Hanekes Kino als antikapitalistisch zu bezeichnen, können sich die Filme des Autorenfilmers wie ein kleiner Akt der Auflehnung gegen den gedankenlosen Konsum anfühlen, weil sie unsere Freiheit zur Deutung sowohl herausfordern als auch stärken.